Krebsforschung: KI-Bildauswertung für klinischen Einsatz

Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Bildinterpretation für Diagnose und Therapieplanung immer intensiver eingesetzt. Ein breit aufgestelltes Forschungsteam des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Universität Bern konnte in einer Studie nachweisen, dass die gängige Beurteilungsgrundlage einer KI-basierten Bildsegmentierung bei Hirntumoren noch optimiert werden kann. Die Abweichungen, wie sie aufgrund heute gängiger Parameter gemessen wurden, korrelieren nicht mit einer klinisch relevanten Veränderung der Bestrahlungsdosis. KI-basierte Software muss vor einem gross angelegten Einsatz noch stärker auf ein klinisch relevantes Ergebnis ausgerichtet werden, damit sie einen echten Mehrwert in Bezug auf die Behandlungsqualität liefert.

Das studierte Einsatzgebiet war die Lokalisierung und die Feststellung des Volumens von Hirnteilen in der Nähe von zu bestrahlenden Tumoren, sog. Risikoorganen. Deren Schutz geniesst hohe Priorität bei einer Radiotherapie. Herkömmlicherweise werden CT- und MRI-Bilder von speziell ausgebildeten medizinischen Fachleuten interpretiert und die Konturen von Risikoorganen werden von Hand eingezeichnet. Dieses Verfahren ist überaus zeitaufwendig und es ist zudem nötig, dass mehrere Ärztinnen und Ärzte ein Bild analysieren, um individuelle Abweichungen oder Fehlinterpretationen auszuschliessen. In modernen Systemen übernimmt diese Arbeit zunehmend automatisierte Software, die auf KI basierend Bilder interpretiert und die gewünschten Konturen einzeichnet bzw. Volumina berechnet. Die vorliegende Studie ging der Frage nach, inwieweit heute verwendete KI zur automatischen Bildsegmentierung zu klinisch bedeutsamen Verbesserungen der Dosisverteilung in Risikoorganen in der Umgebung von Hirntumoren führt. Gearbeitet wurde mit Daten von Glioblastomen, einer aggressiven Art von Hirntumoren.   

Metriken der automatischen, KI-basierten Bildsegmentierung verbesserbar

Überraschenderweise können mit den heute verwendeten gängigen Methoden zur Bestimmung der Qualität einer KI-basierten automatischen Konturierung keinerlei Voraussagen über die Qualität der Behandlung gemacht werden. Zudem konnte in vielen Fällen nachgewiesen werden, dass eine Fehlinterpretation der Risikoorgane nur eine geringe Auswirkung auf die abgegebene Strahlungsdosis in diesen Organen hätte. Das bedeutet, dass die Methoden AI-gestützter Bildinterpretation im Hinblick auf ihren praktischen, täglichen Einsatz in der Klinik weiterentwickelt werden müssen.

Wie sind die Forschenden vorgegangen?

Die Forschungsgruppe aus dem ARTORG Center for Biomedical Engineering Research um Prof. Mauricio Reyes und der Universitätsklinik für Radio-Onkologie unter der Leitung PD Dr. med. Evelyn Herrmann suchte geeignete Fälle und Krankengeschichten aus den Akten. Drei ausgewiesene Expertinnen und Experten zeichneten die Konturen der Risikoorgane aufgrund ihrer langjährigen Fachexpertise als Grundlage zu dieser Studie nach. Danach wurden zahlreiche Varianten von automatischen Segmentierungen einschliesslich KI-getriebenen Methoden ermittelt und dargestellt. Die Unterschiede dieser Varianten zur Expertenlösung wurden anhand von 20 gängigen Verfahren ermittelt. Weiter wurde erhoben, welche Auswirkungen diese Unterschiede auf die Strahlungsdosis hätten, die Risikoorgane bei einer Behandlung erhielten. In einem abschliessenden Schritt wurde eine mögliche Korrelation zwischen den ermittelten Unterschieden der 20 Messverfahren und den Strahlungsdosen untersucht.

Klinisch relevante Berechnungsgrundlagen sind notwendig

Die Studie zeigte die Bedeutung einer systematischen, interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen der KI und den Fachleuten der Klinik. Erstautor Robert Poel stellt fest: «Die heute gebräuchlichen Methoden zur Beurteilung der Qualität automatischer Bildsegmentierung wurden daraufhin geprüft, ob sie brauchbare Aussagen zur Behandlungsqualität liefern. Wir haben festgestellt, dass wir nach neuen Messmethoden suchen müssen, damit nicht nur das grosse Tempo bei der Anwendung, sondern auch der potenzielle Qualitätsgewinn aus dem Einsatz von KI ausgeschöpft werden kann». Eine enge, frühzeitige Zusammenarbeit der Disziplinen kann hier weitere Verbesserungen bringen, was genau dem Ziel des neu gegründeten Center for Artificial Intelligence in Medicine CAIM entspricht.

Wie geht es weiter?

Der Einsatz von KI zur Bildinterpretation in Diagnose und Therapie ist sinnvoll und wird sich ohne Frage durchsetzen. Prof. Dr. med. Daniel Aebersold, Chefarzt Universitätsklinik für Radio-Onkologie und Vorsteher des UCI Tumorzentrums Bern zeichnet den Weg dahin mit den Worten: «Die beteiligten Disziplinen müssen früh und eng zusammenarbeiten. Auf dem Insel Campus sind die Voraussetzungen hierzu optimal. Die enge räumliche und personelle Vernetzung zwischen Universität, ARTORG und der Klinik muss genutzt werden, um die automatisierte Bildsegmentierung weiter auf klinische Fragestellungen auszurichten. Das jüngst publizierte Forschungsprojekt ist ein hervorragendes Beispiel für diese Arbeitsweise».

 

Experten:

  • Prof. Dr. Mauricio Reyes, Leiter Medial Image Analysis, ARTORG Center for Biomedical Engineering Research, Universität Bern
  • PD Dr. Evelyn Herrmann, Universitätsklinik für Radio-Onkologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
  • Robert Poel, PhD Student, Universitätsklinik für Radioonkologie, Inselspital, Universitätsspital Bern und ARTORG Center, Universität Bern
  • Prof. Dr. med. Daniel Aebersold, Direktor UCI Tumorzentrum Bern, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Radio-Onkologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Links:

Axialer Schnitt einer MRT-Aufnahme eines Glioblastom-Patienten. Rot umrandet, die Resektionshöhle des Tumors, wird als Ziel für die Bestrahlung definiert. Die Umrisse der Risikoorgane, wie sie von einem Team klinischer Experten definiert wurden, sind blau dargestellt. In grün sind Konturvariationen für diese Risikoorgane als mögliches Ergebnis einer automatisierten KI-Methode dargestellt.

Links sehen wir zwei Dosisverteilungen, eine als Ergebnis der Referenzkonturen und die zweite als Ergebnis einer Variation der Risikoorgankonturen. Das rechte Bild zeigt die Differenzabbildung beider Dosisverteilungen, also den Dosiseffekt aufgrund alternativer Risikoorgankonturen. (Bild: zvg R. Poel, Radioonkologie Inselspital und ARTORG Universität Bern)

Prof. Dr. med. Daniel Aebersold, Direktor UCI Tumorzentrum Bern, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Radio-Onkologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

PD Dr. Evelyn Herrmann, Universitätsklinik für Radio-Onkologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Prof. Dr. Mauricio Reyes ARTORG, Universität Bern im Gespräch mit Prof. Dr. med. Daniel Aebersold (Foto: Adrian Moser. Universität Bern)